K040 Die Hochzeit (Russische Bauernhochzeit)

english K040 The Wedding

K40 Свадебка [Swadebka]

Русскiя хореографическiя сцены сь пђнiемь и музыкой соч. Игоря Стравинскаго – Les Noces. Scènes chorégraphiques russes avec chant et musique. Version française de C.-F. Ramuz – Die Hochzeit (Russische Bauernhochzeit). Russische choreographische Szenen in vier Bildern mit Gesang und Begleitung, nach russischen Volksliedern bearbeitet von Igor Strawinsky. In das Französische übersetzt von Charles-Ferdinand Ramuz – The Wedding. Russian dance scenes with song and music. French version by C. F. Ramuz – Le Nozze. Scene coreografiche russe in quattro quadri con canto ed accompagnamento su melodie russe popolari nelaborate. Versione francese di C. F. Ramuz

Titel: Die russische Alltagssprache hat für Hochzeit zwei Begriffe, свадьба und свадебка . Svadebka ist die Diminutivform von Svadba und heißt wörtlich übersetzt Hochzeitchen oder auch kleine Hochzeit. Die Vorliebe der Russen für alle Arten sprachlicher Verkleinerungsformen geht im vorliegenden Falle mit einer historisch gebundenen Sinnveränderung einher. Die feierliche, große, pompöse Hochzeit war im vor- wie im nachrevolutionären Russland immer свадьба . Dagegen bezeichnete die heute ungebräuchlich gewordene Diminutivform свадебка nicht nur die weniger aufwendige, kleiner gestaltete Hochzeit, sondern insbesondere die ländliche Dorfhochzeit mit folkloristischem Einschlag, bei der es in der Regel lustig, auch derb, vor allem rituell zuging. Offensichtlich starb diese Bezeichnung mit der Revolution in Russland selbst aus, während ihn die russischen Emigranten beibehielten, so wie sie auch der russischen Orthographiereform nicht folgten. Mit seinem Titel charakterisierte Strawinsky also den darzustellenden Hochzeitstyp als dörfliche Volkshochzeit mit ihrer Fülle an überkommenen ländlichen Ritualen, für die schon damals in der städtischen Hochzeit kein Raum mehr war.

Besetzung: a) Erstausgabe (Rollen): Невђста / La Mariée [Die Braut (Nastasia*)], Женихъ / Le Marié [Der Bräutigam (Fetis)], Мать невђсты / La mère de la mariée [Die Brautmutter], Отецъ жениха / Le Père du marié [Der Bräutigam-Vater], Первый дружко / Le premier ami de noces [Erster Hochzeitsgast], Подружки / Les amies de noces [Hochzeitsgäste], Les amies de la mariée [Freunde der Braut], Brautjungfern, Freunde des Bräutigams, Heiratsvermittler, Heiratsvermittlerin , Le premier ami de noces [Erster Hochzeitsgast (Soprano)]; ~ Vokal-Solisten: Sopran, Mezzosopran, Tenor, Bass; ~ (Chor): Sopran, Alt, Tenor, Bass; ~ Instrumentarium: Piano I-IV, Piatti, Caisse claire sans timbre, Tambour sans timbre, Caisse claire à timbre, Tambour à timbre, Xylophone, Timpani, Grosse Caisse, Tambour de Basque, Triangolo (Triangle), deux crotales, une cloche [4 Pianos, Becken, Militärtrommel ohne Schnarrsaiten, kleine Trommel ohne Schnarrsaiten, Militärtrommel mit Schnarrsaiten, kleine Trommel ohne Schnarrsaiten, Xylophon, Pauken, Große Trommel, Schellentrommel (Tamburin), Triangel, zwei Crotales, eine Glocke]; b) Aufführunsanforderungen: Solo-Sopran, Solo-Mezzosoprano, Solo-Tenor, Solo-Bass, vierstimmig gemischter Choru (Soprane**, Alte**, Tenöre**, Bässe***), Instrumentarium = a)

* Nastassja; deutsche Originalübersetzungen Nastasia und Nastjinka.

** auch geteilt.

*** auch geteilt und mit Basso profondo.

Fachpartien: Sopran: Umfang des1 bis h2; Mezzosopran: Umfang a bis fis2; Tenor: Umfang c bis h1; Bass: Umfang Gis bis g1, die höchsten Töne werden falsettiert. Es handelt sich um die üblichen Lagen, deren Ecktöne nur verhältnismäßig selten vorkommen.

Aufführungspraxis: Die von Strawinsky nur am Schluss des Stückes eingesetzten Crotales, zu denen die Partitur keine näheren Angaben macht, sind talergroße runde Glockenplatten, die, wie Scherchen mitteilt*, nach Angaben Strawinskys erstmals 1918 in Paris gegossen wurden. Sie klingen auf cis3 und b3. Sie haben sich durchgesetzt und werden inzwischen als Sätze hergestellt. – Da keine Rollenverteilung nach Stimmtypen vorliegt und herkömmliche Personencharakteristik weitgehend vermieden wird, können die vier Solopartien auch mit Konzertsängern besetzt werden.

* Hermann Scherchen: Lehrbuch des Dirigieresn, Leipzig 1929, Nachdruck Schottverlag Mainz 2006, S. 171.

Inhalt: Mutter und Brautjungfern flechten das Haar der Braut Nastasia (Erstes Bild). Gleichzeitig (Zweites Bild) wird das Haar des Bräutigams Fetis von seinen Freunden gesalbt. Sie gratulieren und rufen die Gottesmutter, die Apostel und die Engel an. Fetis erbittet von seinen Eltern den Segen. Die Braut (Drittes Bild) nimmt Abschied, und auch sie bittet um den elterlichen Segen. Die Mütter der Brautleute beklagen den Verlust ihrer Kinder. Nachdem sich zu Beginn des zweiten Teils der rückwärtige Vorhang der Bühne gehoben hat, erblickt man ein großes, fast ganz von einem Tisch ausgefülltes Zimmer, von dem aus eine offene Tür in ein Schlafgemach führt, in dem ein Doppelbett steht. Um den Tisch herum gruppieren sich die schmausenden Hochzeitsgäste. Nach allerhand Zeremonien und Volksbildern schließt das nahezu handlungslose Stück mit einer Szene, die die beiden Elternpaare der ins Schlafzimmer geleiteten Kinder auf einer Bank vor der nun verschlossenen Schlafzimmertür mit dem Gesicht zu der übrigen, weiterfeiernden Gesellschaft sitzend zeigt, während man aus dem Inneren des Schlafgemachs den Bräutigam von seiner Liebe singen hört.

Vorlage: Eine textliche Vorlage im Sinne einer gedruckten literarischen Geschichte gibt es nicht, wohl aber zahlreiche Einzelvorlagen in Gestalt von Volksliedern und Volksgeschichten, aus denen sich Strawinsky sein Libretto frei zusammenstellte. Seine Hauptquelle war die Liedersammlung Pjotr Kirejewskys, die unter dem Titel Пђсни, собранныя П. В. Кирђевскимъ. Новая серія erst 1911 an der Moskauer Universität von V. F. Miller und M. B. Speransky neu herausgegeben worden und erstmals zehnbändig 1868-1874 erschienen war. Die Liedersammlung Kirejewskys, der bereits 1856 im Alter von 48 Jahren starb und dessen Verdienst neben der Sammlung an sich deren geographische Zuordnung Lied zu Entstehungsort gewesen ist, wurde so berühmt wie auf ihre Weise die Afanassjewsche Märchensammlung und eine kaum auszuschöpfende Quelle für alle Art von ethnographischer Forschung. Es ist davon auszugehen, dass Strawinsky die Moskauer Ausgabe spätestens im Juli 1914 in Kiew kennengelernt hat, als er geschäftlicher Besprechungen wegen ohnehin dort weilte und die Gelegenheit nutzte, sich russische Volkslieder und Märchen zu notieren, die er dann für eine ganze Reihe von eigenen Kompositionen auswertete. Mit einigen wenigen Ausnahmen, in denen Strawinsky auf andere Sammlungen zurückgriff (Sacharow, Tereschtschenko), sind alle Strawinsky-Textformeln in der Kirejewsky-Ausgabe von 1911 nachzuweisen. Richard Taruskin hat sie in einem aufwendig und beispielhaft kommentierten achtzehnseitigen Appendix szenenverfolgend zusammengestellt. Der Swadebka-Text lässt sich somit an den zusammenmontierten Kirejewsky-Liedern entlanglesen, wobei es auch zu Rückgriffen und Wiederholungen kommt. Strawinsky besaß nicht nur Ausgaben Kirejewskys und Afanassjews, sondern er hatte sich damals selbst auf die Suche nach Volkspoesieüberlieferungen gemacht, deren Ergebnis in Les Noces, in Renard, in die Geschichte vom Soldaten und in einige Lieder einging. Strawinskys derartige Bemühungen blieben auf wenige Jahre beschränkt. Schon seit 1923 war diese Zeit für ihn abgeschlossen, und er ist auch später nicht mehr zu ihr zurückgekehrt. Allerdings sind die Einflüsse schwierig abzugrenzen, weil zwischen den Texten der überlieferten Volkspoesien und ihren Musikmodellen unterschieden werden muss. Strawinsky hat nie geleugnet, die Libretti einiger früher Bühnenwerke russischen Textüberlieferungen entnommen oder sie wie im Falle Renard aus mehreren von ihnen montiert zu haben; mit der Zeit benannte er die aus russischen Volksliedsammlungen notenwörtlich in seine Stücke eingestellten oder eingearbeiteten Melodien selbst. In Les Noces sind es drei: Einmal die Musik zur Bitte des Bräutigams Ziffer 50. Diese Melodie beruht auf einem Kirchengesang, den Strawinsky einer Sammlung liturgischer Gesänge zur Oktav * entnahm. Sodann das in Russland populäre Fabriklied, das sein Freund Stepan Mitussow aufzeichnete. Strawinsky benutzte es an mehreren Stellen der Szene des Hochzeitsfestes bei Ziffer 110, 120, 124, 125, 130. Die dritte Stelle geht auf den Gesang zweier betrunkener Nachtschwärmer aus Vaud zurück, mit denen Strawinsky an einem Tage Ende Januar 1915 mit der Drahtseilbahn von Château d'Oex nach Clarens zurückfuhr. Strawinsky musste die eigentliche, mit Schluckauf-Synkopen ausgestattete und zwischen Vierviertel- und Dreiviertel-Takt pendelnde Melodie seiner Urzelle anpassen. Das Thema wird Hauptthema des Schlussbildes und findet sich bei Ziffer 93, 115, 116, 126. Es charakterisiert den allmählichen körperlichen Zustand der feiernden Hochzeitsgäste, wird zum Finalthema beim Kontrabass-Solo Ziffer 133 und bestreitet schließlich die Orchester-Koda ab Ziffer 135 6. Wenn Stellen in seiner Musik hin und wieder wie ein russisches Volkslied klängen, dann nicht, weil er ein solches übernommen, sondern weil er im Stile des russischen Volksliedes komponiert habe, erklärte Strawinsky später. Strawinsky entnahm der Kirejewsky-Sammlung ausschließlich Texte zum Thema Russische Bauernhochzeit, die er in vier entindividualisierte Episoden gliederte und akt- und bildübergreifend durchnumerierte. Seine Sprache reiht Redewendungen und Einzelwörter im Sinne von Tropen mit dem Charakter der sprachlichen poetischen Nebenbedeutung aneinander, die floskelhaft erscheinen, durch die sich aber für die russische Hochzeitsgesellschaft kulturabhängige Sinnbedeutungen offenbaren. Die Sprachformel steht somit für eine bestimmte Handlung, ein Verhalten, ein Tun oder Unterlassen, ein Auffordern, das zum Spiel und dementsprechend auch sehr drastisch werden kann. Erst aus der Entschlüsselung der Doppeldeutigkeit der Sprachformel ergibt sich der tropenverkleidete Sachverhalt. Es stellt die Übersetzungen vor Probleme, die beispielsweise jedem wissenschaftlichen Bibelexegeten vertraut sind. Das vierte Bild wird von Ramuz mit ‚Le Repas de noces’ übersetzt. Millar Craig überträgt ‚The Wedding Feast’, Gutheim und Kruger folgen dem französischen Text und machen daraus ‚Der Hochzeitsschmaus’. Im russischen Original steht jedoch Красный столъ , und das heißt >Der rote Tisch<. Dabei haben die Farben für den Russen immer auch eine poetische Nebenbedeutung. Grün beispielsweise steht ebenso für übertragen blutjung oder aschfahl wie für umgangssprachlich unheimlich, so dass Grün zur Geisterfarbe wird. Das russische Wort für Schimmel und für verschimmeln wird von grün aus gebildet. Daher tritt der unsterbliche Kaschtschei als Herr des unheimlichen Geisterreiches Kikimor immer mit grünen Händen auf. Die Farbe Blau wird auf den Liebsten übertragen, auch das Wort für Taube kommt vom russischen Wort für blau*. Rot dagegen bedeutet synonym-poetologisch schön. Der rote Tisch heißt also in Wirklichkeit der schöne Tisch**, und der Tisch heißt schön, weil man daran das Hochzeitsfest feiert, das natürlich zum größten Teil aus Essen und Trinken besteht, aber weiter auf das hin verweist, weswegen die Hochzeit überhaupt gefeiert wird. Hochzeitsschmaus ist demnach eine Einengung des tatsächlich von Strawinsky viel weiter begriffenen Szenenvorgangs, zu dem das Geleit der frisch Verheirateten in ihr Schlafzimmer ebenso gehört wie die Wache der Eltern vor der Türe, damit das junge Ehepaar ungestört bleibt. Strawinsky hat später selbst solche literarischen Formeln aufgedeckt und immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Stück um ein von einer Formelsprache geprägtes, mit religiösen Momenten durchsetztes, verfeierlichtes Ritual handele. Strawinsky bringt das Beispiel vom Eigenschaftswort bitter, das, auf dem Hochzeitsfest ausgesprochen, eine Aufforderung an den Bräutigam ist, seine Braut zu küssen. Es ist keineswegs tiefsinnig-kryptographisch zu verstehen, sondern aus dem Sprachherkommen, wie es dem einfachsten russischen Bauern vertraut war. Das Eigenschaftswort bitter heißt auf Russisch горький . Als Substantiv, nicht als Adjektiv genommen ist es umgangssprachlich ein Synonym für Schnaps, wie im Deutschen auch, wo man einen „Bitteren“ trinken kann. Ersetzt man lediglich die russische Endbuchstabenkonstruktion ий durch ein o , also горько , so hat man den Imperativ ‚Küsst euch!’ gebildet, der mit dem eigentlichen russischen Verbum für küssen nichts zu tun hat, aber sehr wohl verstanden wird. Das bäuerliche Hochzeitsformular ist somit kein verdeckendes Geheimritual nach Sektiererart für Eingeweihte, sondern gelebte Sprache. Deshalb nahm Strawinsky auch den bäuerlichen, nicht den urbanen Titel auf, weil das Ritual mit seinen festgelegten Redewendungen nur dort zu entwickeln ist, wo sich eine Umgebung darauf versteht und weiß, was sie sagen und gegensagen muss. Das aber war das Dorf mit seiner Gemeinschaftskultur kleiner Gruppen, nicht die Stadt mit ihrer zunehmenden Anonymität, die solche Vertrautheiten auch in Russland nicht mehr gewährleisten kann.

* Gemeint ist die Osteroktav. Unter Oktav versteht man den 8. Tag nach einem Hochfest und gleichzeitig die acht Tage vom Fest bis zum 8. Tag danach. In der Katholischen Kirche hatten früher alle größeren Feste eine Oktav. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde ihre Zahl stark eingeschränkt; heute gibt es sie nur noch für Weihnachten und Ostern. In der Ostkirche kannte man seit je lediglich die Oster-Oktav (das Weihnachtsfest dauert in der Ostkirche zwei Wochen).

** daher die symbolgreifende Beziehung in dem ersten der beiden Gorodetzky-LiederTaube = Liebster.

** wie der Rote Platz in Moskau eigentlich Schöner Platz heißen müsste.

Aufbau: Les Noces ist ein ohne Unterbrechung durchzuspielendes, fast handlungsloses szenisches Ritualwerk in verbildlichter Kantatenform aus vier durchgezählten, auf zwei Akte verteilten Szenen.

Aufriss

CВАДЕБКА

ЧАCТЬ ПЕРВАю

КАРТИНА ПЕРВАю

„КОCА”

LES NOCES

PREMIÈRE PARTIE

PREMIER TABLEAU

„LA TRESSE”'

[Die Hochzeit

Erster Akt

Erstes Bild: Im Hause der Braut

Die Haarflechten

The Wedding

Part One

Scene 1: At the Bride's House

The Tresses]

Achtel = 80

(Ziffer 101 bis Ziffer 11)

Achtel = 160

(Ziffer 1 1bis Ziffer 1 13unter Wiederholung von Ziffer 1 1-11)

punktierte Viertel = 80

(Ziffer 2 1bis Ziffer 3 7)

[Ziffer 1 1Занавђсъ Rideau ]

Tempo Io Achtel = 80

(Ziffer 4 1bis Ende Ziffer 4 13)

Achtel = 160

(Ziffer 5 1bis Ziffer 8 2)

Achtel = 80 Tempo I

(Ziffer 8 3-7)

Viertel = 120

(Ziffer 9 1bis Ziffer Ende Ziffer 26 7[ attaca subita weiter nach Ziffer 27])

КАРТИНА ВТОРАю

У ЖЕНИХА

DEUXIÈME TABLEAU

CHEZ LE MARIÉ

[Zweites Bild: Im Hause des Bräutigams

Scene 2: At the Bridegroom's House]

Viertel = 120

([ attaca subita von Ziffer 26 7aus] Ziffer 27 1bis Ende Ziffer 34 2)

Meno mosso Viertel = 104

(Ziffer 35 1bis Ende Ziffer 39 10)

Poco più mosso Viertel = 112

(Ziffer 40 1-11)

Tempo Io Viertel = 120

(Ziffer 41 1bis Ende Ziffer 50 7)

Viertel = punktierte Viertel Più mosso

(Ziffer 51 1-3)

punktierte Viertel = Viertel Tempo I o

(Ziffer 51 4-5)

Più mosso

(Ziffer 52 1-3)

Tempo I o

(Ziffer 52 4-6)

Più mosso

(Ziffer 52 7-9)

Achtel = Achtel

(Ziffer 53 1bis Ende Ziffer 64 6[attaca subita weiter nach Ziffer 65])

КАРТИНА ТРЕТЬю

ПРОВОДЫ НЕВЂCТЫ

TROISIÈME TABLEAU

LE DÉPART DE LA MARIÉE

[Drittes Bild: Aufbruch der Braut

Scene 3: The Bride's Departure]

Achtel = Achtel L'istesso tempo

([ attaca subita von Ziffer 64 6aus] Ziffer 65 1bis Ende Ziffer 71 6)

Achtel = Achtel

(Ziffer 72 1bis Ende Ziffer 74 7)

Achtel = Achtel

(Ziffer 75 1bis Ende Ziffer 76 4)

Achtel = Achtel

(Ziffer 77 1bis Ende Ziffer 86 8[ attaca subita weiter nach Ziffer 87])

[Ziffer 80 1Проводы невђсты - всђ удаляются. Le départ de la

mariée tout le monde quitte la scène en l'accompagnant. [Ankunft

der Braut. Alle verlassen gemeinsam die Szene –]

[Ziffer 81 1Cцена пуста – La scéne reste vide [Die Bühne bleibt leer – ]

[Ziffer 82 1Входятъ матери жениха и невђсты съ каждой сцены .

Entrent les mères du marié et de la mariée de chaque coté de la

scène ]

[Ziffer 82 1 lamentando ]

[Ziffer 86 2Матери уходятъ. Cцена пуста Les mères sortent. La

scène reste vide [Die Mütter gehen ab. Die Bühne bleibt leer. – ]

ЧАCТЬ ВТОРАю

КАРТИНА ЧЕTВЕРTАю

КРАCНЫЙ CТОЛЪ

DEUXIÈME PARTIE

QUATRIÈME TABLEAU

LE REPAS DE NOCES

[Zweiter Akt

Viertes Bild: Das Hochzeitsfest

Der rote Tisch

Part Two

Scene 4: The Wedding Feast

The Red Table]

Allegro Viertel = 180

([ attaca subita von Ziffer 86 8aus] Ziffer 87 1bis Ende Ziffer 102 5)

[Ziffer 98 1Мать невђсты подводитъ её къ своeму зятю La mère de la

mariée l'amène à son gendre – ]

[Ziffer 98 3Дрeжка, мать жениха, сватъ, сваха, всђ по очереди

L'ami de noces, la mère du marié, le svat, la marieuse tour à tour – ]

Poco meno mosso

(Ziffer 102 6bis Ende Ziffer 103 6)

Tempo primo

(Ziffer 104 1bis Ende Ziffer 135 16)

[Ziffer 114 1Жениховъ дружка выбираетъ изъ пођажанъ одного

мужа и жену и ведетъ ихъ обоспать для молодыхъ постель.Un

ami des noces choisit parmi les invités un homme de sa femme et les

envois chauffer le lit pour les mariés – ]

[Ziffer 124 5 Poco rubato [#] tempo A

[Ziffer 126 6Женихъ и невђста цђлуются Le marié e la mariée

s'embrassent –]

[Ziffer 1130 Câàòú, îáðàùàÿñü êî ãðþùèìú ïîñòåëü Le svat au

couple qui chauffe le lit –]

[ Ziffer 130 1Обогрђвающіе постель вылђзаютъ изъ нея. Фетиса и

Настасью ведутъ rъ постели, уклздываютъ ихъ, запираютъ дверь и оставляютъ.

Родители жен. и нев. уоаживзются на скамьђ передъ дверью.

Всђ обращены къ нимъ лицомъ.Ceux qui chauffent le lit

sortent. On conduit Fètis et Nastasie jusqu'au lit et on les couche

après quoi on les laisse seuls et on ferme la porte. Les deux pères et

les deux mères s'installent devant la porte sur un banc, tout le monde

leur faisant face – ]

[Ziffer 134 7Занавђсъ опускается медленно впродоженіе всей

послђдуюoщй музыкиLe rideau se baisse lentement durant toute

la musique suivante. – ]

Stil: Wie schon Renard und einige andere Werke ist auch Les Noces mit herkömmlichen formalen Gattungsbegriffen nicht zu klassifizieren. Les Noces ist keine Oper und schon gar nicht ein Ballett. Es ist das, was man Jahrzehnte später mit dem zu allgemein gehaltenen Begriff Neues Musiktheater notdürftig zu umschreiben suchte, und damit wie die Geschichte vom Soldaten ein Prototyp einer Musikentwicklung, in der die „Gattung“ nur noch bei nicht originellen Komponisten eine Rolle spielt, wie Strawinskys Symphonien keine Symphonien, seine Sonaten keine Sonaten, nicht einmal mehr in einer abgeleiteten Fassung, sind. In seinem langen Brief an Ernest Ansermet vom 23. Juli 1919 aus Morges lehnte er die Ballettbezeichnung grundsätzlich ab und sprach hier zum ersten, aber nicht zum letzten Mal von Les Noces als von einem Divertissement, ein Begriff, der noch Anfang März 1923 mit in die Druckfassung eingehen sollte. Struve gegenüber schrieb er von einem „Russischen Gesang“ als einer „Kantate oder Rhapsodie“. Das Bühnenstück ist aber auch keine Oper; es verfügt weder über eine Handlung, noch bedarf es einer Ausstattung oder einer Regie. Das Instrumentarium, zumal 1919 noch mit Pianola, Harmonium und Schlagzeug entworfen, passt in kein herkömmliches Instrumentalschema. Diese Serie von Bühnenstücken war Strawinskys ureigene Idee, an der niemand sonst teilhatte. Man versteht den Ärger, den er fühlte, und die sonst unverständlich harten Reaktionen, die er zeigte, wenn sich „Zeitzeugen“ zu Wort meldeten und seine Originalität schmälerten, indem sie anderen Künstlern zuschrieben, was seiner Gedankenarbeit entwachsen war, Nabokow etwa, wenn er die Les-Noces-Idee ausgerechnet dem Ballett-Impressario Diaghilew unterstellte (der nun wirklich nichts mit der Entstehung von Les Noces zu tun hatte, auch wenn er dieses Stück nachher besonders in sein Herz schloss), oder Frau Yvonne Racz, wenn sie die Instrumentierungsentscheidung für Klavier als Ergebnis der Beratungen durch Ansermet hinstellte. Nabokows in seiner Diaghilew-Biographie gedruckte und als Reverenz für den Ballettkönig zu verstehende Äußerung, Les Noces (und Petruschka) seien Ideen Diaghilews gewesen, zerstörten das Verhältnis Strawinsky-Nabokow für lange Zeit und außerdem sehr gründlich. Nabokow war ein Mann mit sehr spitzer Zunge, der sich leicht und gern auf Kosten anderer lustig machte. Der „gute“ Witz ging mitunter über den guten Freund. Strawinsky bekam alles zurückerzählt. Wäre nicht die spätere administrative Sonderstellung Nabokows mit seinem großen Einfluss auf Konzertplanung gewesen, durch die Strawinsky trotz Provision für Nabokow sehr viel Geld verdiente, und gleichzeitig das unentwegte Bemühen Nabokows, die alten Beziehungen zu Strawinsky wieder herzustellen, hätte Strawinsky auch weiterhin Briefe Nabokows unbeantwortet gelassen und alles daran gesetzt, ihm aus dem Weg zu gehen. Und die Witwe des Zymbalisten Aladar Racz hatte sich über die Vorgeschichte als „Zeitzeugin“ gemeldet und festgehalten, Strawinsky habe ursprünglich vier Zymbalons für die Instrumentierung vorgesehen gehabt. Es sei der Überzeugungskraft Ernest Ansermets jedoch gelungen, Strawinsky dazu zu bringen, statt dessen vier Klaviere zu nehmen, weil man in keiner Stadt vier Zymbalonspieler werde auftreiben können. Strawinsky schrieb dazu in einer Glosse, dass dies völlig falsch sei, und er niemanden über die Instrumentierung seines Stückes befragt habe (This is absolutely wrong - I never consulted anybody for my instrumentation of Les Noces.). Strawinsky war so erbost, dass es zu einem in solchen Fällen typischen Verhalten kam. Er hatte die Anschrift der Witwe nicht und wollte ihr über Peter Bartók schreiben, diese Äußerung zu korrigieren. Strawinsky hatte aber den Brief Bartóks urschriftlich mit einem Kommentar in anderer Sache zurückgeschickt und den Umschlag weggeworfen, somit auch dessen Anschrift nicht mehr. Also schrieb er am 22. März 1965 Stewart Pope vom Verlag Boosey & Hawkes und bat ihn, die Anschrift der Witwe herauszufinden und ihm in dieser dummen Sache (stupid affair) zu helfen. – So wie das Libretto eine Textmontage aus der Kirejewsky-Sammlung ist, so ist die Musik dazu zwar keine Collage, aber eine permanente Ummontage einer einzigen kleinen Intervallkombination aus einer kleinen Terz und einer großen Sekunde, die eine Quarte bilden. Viktor Belajew hat in seiner vielgerühmten Studie über Les Noces aus dem Jahre 1928* die Konstruktion mit derselben Sorgfalt nachgewiesen, mit der Taruskin die Textcollage aus Kirejewsky verfolgte. Mittels dieser variierenden Motivtechnik wird die Partitur zu einem Organismus von solcher Einheitlichkeit, wie sie Strawinsky möglicherweise in keinem anderen Werk mehr erreicht hat. Das Grundmotiv, das in seiner Permutationstotalität dorisch oder mixolydisch ist, je nachdem wie man die Skalentrennung durch die Quarten vornimmt, beherrscht auch die Thematik, gleich wie sie auftritt, wobei neue Themen immer erst als Kontrapunkte zu einem schon vorhandenen Thema eingeführt werden, ehe sie selbständig auftreten. Das Grundmotiv lässt ebenso die Bitonalität zu. Die Darstellung von Les Noces wird damit zu einer konstruktionstechnischen Takt-für-Takt-Analyse, weil die Ausdrucksgebung nicht über Bilder läuft, sondern über Formeln, die anstelle der Bilder stehen. Statische Klagen oder synkopisch rhythmisierte Burlesken: Das Grundmotiv wird permutiert, variiert, kontrapunktiert, seine Elemente werden verkreuzt, in sich selbst verschoben, umgedreht, kein Takt ist wie der andere und doch sind alle nach demselben Verfahren gearbeitet, ist praktisch jeder Takt mit jedem verwandt, zwischenschieb-, vertausch- oder wegnehmbar. Dem rituellen, fast statischen Bild-Vorgang steht ein ritueller Formel-Text mit religiösen und weltlichen Bezügen gegenüber, den eine ebenso formalisierte Grundmuster-Gestaltvariationsmusik begleitet. Das Nicht-Außergewöhnliche wird zum Abbild des Lebens, das sich in dieser Form immer wiederholt und jeden Einzelnen in seinen eigenen Kreislauf hineinzwingt und seine Individualität normalisiert. Der Mensch wird als Mann oder Frau geboren, wächst als Mann oder Frau auf, wird als Mann oder Frau von seinen Eltern beschützt, verlässt als Mann oder Frau das schützende Haus und findet als Mann und Frau zu einer neuen Lebenszelle zum neuen Kreislauf zusammen, um eines Tages als Mann oder Frau wohin immer auch heimzugehen. Nichts fehlt in diesem Stück, nicht das Klagen und nicht das Lachen. Strawinsky hat die Musik entindividualisiert, er hat die Kontraste weggelassen, auch die ästhetischen Kategorien anders als gewohnt gesetzt. Klagen und Lachen sind keine Gegensätze, sondern Bestandteil des allzeit Normalen. Weltliches und Religiöses sind zusammengekoppelt. Das Leben selbst ist wie die musikalische Formel eine Varietät immer wieder Desselben. Daher wird, wie schon im Fuchs erprobt und im Sacre vorangekündigt, der individuelle Vorgang in das Kollektive eingebunden und nach der selbständigen ästhetischen Kategorie der Gattungswelt nicht mehr gefragt. Les Noces hat die Gattungswelt endgültig hinter sich gelassen, keine Oper, kein Ballett, keine Kantate, keine Rhapsodie, und doch alles zusammen. Das Tempo verläuft mit zwei kurzen Ausnahmen mit 80 oder 120 Schlägen auf die Minute. Cocteau hat das griffige Bild vom Rennwagen gebraucht, das deshalb problematisch, nein: falsch, ist, weil der Zeitduktus des Stückes nicht vom Allegro, sondern von der Stetigkeit bestimmt wird. Die Singstimmen setzen sofort ein und kennen keine Pause bis zu ihrem Schluss 21 Takte vor Ende. Dieses Ende ist, um ein späteres Strawinsky-Wort vorwegzunehmen, monometrisch mit stufenweise größeren Pausen und Generalpausen. Das Stück entschwebt, wie es ohne Vorspiel einsetzte, selbst nur Teil einer unendlichen Wiederholungsgeschichte.

Widmung: A Serge de Diaghilew [Für Serge de Diaghilew].

Dauer: 5'12" (I,1), 6'06" (I,2), 3'11" (I,3), 10'23" (II,4).

Entstehungszeit: Salvan / Morges Juli 1914 bis Dezember 1917; Biarritz / Monaco Ende Winter 1922/23 bis 6. April 1923 - oder nach Instrumentierung vier Entstehungsfassungen: 1914-1915, 1915-1916, 1914-1916, 1921-1923.

Uraufführung: Die szenische Uraufführung fand in russischer Sprache am 13. Juni 1923 im Pariser Théâtre de la gaîté-lyrique statt mit Hélène Smirnowa (Sopran), Maria Dawidowa (Mezzo-Sopran), Michel d'Arial (Tenor) und Georges Landskoy (Bass) von den Opernhäusern St. Petersburg und Moskau, mit den Tanzsolisten Felia Dubrowska (Braut), Nikolai Semjonow (Bräutigam), Ljubowv Tschernischewa und Léon Woidzikowski (Freundespaar) und dem Ensemble Les Balletts Russes de Serge de Diaghilew (Tschernischewa, Dubrowska, Chollar, Nikitina, Bewicke, Damaskina, Maikerska, Sumarokowa, Allanowa, Krassowska, Rosenstein, Coxon, Komarowa, Nemtschinowa, Zalewska, Evina, Sumarokowa II, Antonowa, Zawitzka, Trussewitsch, Grekulowa, Woidzikowsky, Swerew, Slawinsky, Kremnew, Jaswinsky, Fedorow, Semjonoff, Skibine, Michailow, Tscherkas, Lapitzky, Hoyer, Hoyer II, Lifar, Unger, Kohanowsky), mit Georges Auric, Edouard Flament, Hélène Léon und Marcelle Meyer am Klavier, in der Choreographie von Bronislawa Nijinska, mit dem Bühnenbild und den Kostümen von Natalja Gontscharowa, in der Regie von Serge Grigoriew, der Choreinstudierung von Boris Kibalschitsch und unter der Musikalischen Leitung von Ernest Ansermet. Der Uraufführung ging am 11. Juni 1923 eine private Voraufführung im Pariser Hause der Prinzessin de Polignac voraus. Die erste Konzertaufführung veranstaltete Hermann Scherchen am 24. November 1925 in Frankfurt. Zu vergleichenden Aufführungen verschiedener Fassungen kam es in den sechziger Jahren unter anderem in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.

Bemerkungen: Es gibt keine zweite Komposition Strawinskys, deren Entstehungsgeschichte so wechselhaft, langwierig und problematisch verlaufen ist wie die von Les Noces. Eine der Ideenquellen für das Werk soll eine jüdische Hochzeit in Leysin gewesen sein, wie Robert Craft in einer Anmerkung registriert. Die erste Titelerwähnung findet sich in einem Brief Alexander Sanins an Strawinsky vom 17. Februar 1913. Gerade erst wurde in Moskau das neue Freie Theater gegründet, und nun rief man Strawinsky um ein Bühnenstück an. Sanin erinnerte sich, von Strawinsky den Titel eines in Planung befindlichen Bühnenwerks Hochzeit gehört zu haben, wobei es zu einer unwesentlichen Titelverwechslung zwischen Swadebka und Swadba kommt. Sanine spricht in seinem Brief mehrmals von свадьба , an keiner Stelle von свадебка . Möglicherweise hatte sich Sanine verhört. Strawinsky muss den Titel unverzüglich richtig gestellt haben; denn knapp einen Monat später im Schreiben Sanines an Strawinsky vom 14. März 1913 wird der Titel so genannt, wie er endgültig veröffentlicht wurde. Mit der kompositorischen Arbeit begann Strawinsky 1914 in Clarens und beendete die kleine Partitur am 4. April 1917. Abgeschlossen wurde das Stück Ende 1917, blieb aber wegen des Krieges liegen. Die Instrumentierung wurde zu einer eigenen Kompositions-Geschichte. Strawinsky brauchte die für ihn unglaubliche Zeit von fünf Jahren, um mit der Instrumentierung zurechtzukommen. Ursprünglich wollte er zwei getrennte Klangformationen entwickeln. Die erste sollte aus dem Chor, den Holzbläsern und den Blechblasinstrumenten bestehen, die zweite aus einem reinen Streicherkörper, der in zwei Streichorchester aufgeteilt werden sollte, von denen das eine pizzicato, das andere mit dem Bogen zu spielen hatte. Der Plan wurde nach einigen Seiten aufgegeben, weil die dafür erforderliche Masse von einhundertfünfzig Instrumentalisten, die man sich ausrechnete, nach einer eventuellen Uraufführung jede weitere Aufführung ausgeschlossen hätte. Vom Mammutorchester schlug Strawinskys Planung jetzt ins Gegenteil um. Elektrisches Pianola, Harmonium, ausgedehntes Schlagzeug und zwei Zimbals verschiedener Tonhöhe schienen die Endlösung zu sein, und Strawinsky instrumentierte zwei Bilder voll durch. Dann gab er auch diesen Plan auf, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sich nach dem damaligen Stand der Aufführungspraxis mechanisches Instrumentarium und Singstimmen nicht miteinander synchronisieren ließen. Jetzt erst kam es zur endgültigen Fassung. Offensichtlich griff Strawinsky die Klangkörpereinteilung der ersten Fassung wieder auf und arbeitete mit zwei Gruppen von Instrumenten, diesmal aber Schlagzeuginstrumenten, denen auch die Tasteninstrumente Klavier zugerechnet wurden. Die eine Gruppe umfasste Schlaginstrumente mit fester Tonhöhe (4 nichtmechanische Klaviere, Xylophon, Pauken, 2 Kastagnetten, Glocken), die andere solche ohne feste Tonhöhe (2 kleine Trommeln verschiedener Größe ohne Schnarrsaiten, 1 Trommel ohne Schnarrsaiten, Große Trommel, Tamburin, Schellen, Triangel). Diese Fassung beendete er nach fünfjährigen Mühen laut Partiturangabe am 6. April 1923 in Monaco. Probleme gab es hier wie bei der Geschichte vom Soldaten mit der genauen Bezeichnung des Schlagzeugs. Auch für Les Noces hatte Strawinskys Angabe ursprünglich auf 3 kleine Trommeln (caisses claires sans doute) verschiedener Größe (grande, moyenne, petite) gelautet. So wies Strawinsky in einem Brief vom vermutlich 5. Februar 1923 Ansermet auf dessen Rückfrage noch an. Ein paar Tage danach ersetzte er die caisse claire moyenne sans doute durch eine normale Trommel ohne Schnarrsaiten und bat Ansermet, diese Nomenklatur auch auf den Anfang des Divertissements zu übertragen. Die Harmonium-Partie wurde im Juli-August 1919 geschrieben. In seinem sehr ausführlichen Brief an Ansermet vom 26. Mai 1919 aus Morges klärte Strawinsky Ansermet über die mit Diaghilew und dem Verlag getroffenen geschäftlichen Abmachungen auf. Demnach hatte Diaghilew für das zweijährige Aufführungs-Exklusivrecht zwanzigtausend Schweizer Franken an Strawinsky zu zahlen. Er hatte ferner nach erfolgtem Stimmendruck die handgeschriebenen Stimmen im Austausch mit den gedruckten Stimmen an den Verlag zurückzugeben und künftig für jede Aufführung eine Aufführungstantieme von 100 Franken an den Verleger zu zahlen. Mit gedruckten Stimmen war kein Kauf-, sondern gedrucktes Leihmaterial gemeint. Als Diaghilew das Stück zum ersten Mal hörte, soll er geweint und gesagt haben, Les Noces sei das Schönste und Russischste, das Strawinsky bis dahin gemacht habe. Es wurde sofort allenthalben als Stilbildungswerk und charakteristische Produktion Diaghilews mit entsprechenden kritischen Kommentaren anerkannt. Es begründete zeitweise eine Neoprimitivismus genannte Stilwelle, in deren Gefolge auch Orffs Chorwerk Carmina Burana entstand, das die Strawinskysche Vorlage abschliff und dadurch popularisierte. Die englische Erstaufführung vom 14. Juni 1926 wurde vergleichsweise kühl aufgenommen. Ab den dreißiger Jahren geriet das Werk in Vergessenheit, was auch mit den Aufführungsbedingungen und den politischen Ereignissen zusammengehangen hat. Mit der Ashton-Einstudierung von 1966 erlebte es ab den siebziger Jahren eine wieder zunehmende Verbreitung.

Produktion: Bronislawa Nijinska beantwortete 1923 die Statik der Bühnenhandlung mit der Begrenzung der Bewegungsvorgänge, die keinen demonstrierend-theatralischen Charakter haben und sich nicht vor dem Publikum im klassischen Sinne zur Schau stellen. Die Choreographin entwickelte Kreise, Reihen und Blöcke, die sich gegeneinander zu verschieben haben, und eröffnete und schloss jedes Bild mit einer Menschenpyramide, die sich entfaltet beziehungsweise am Ende wieder bildet und die Choreographie sowohl gliedert wie immer wieder auf ihren Ursprung zurückführt. Die vorgegebene rituelle Entindividualisierung der Handlung verlagert das tänzerische Moment vorrangig in das Corps de ballet. Von der Gruppe geht die Aktion aus, während die Solisten eher passiv zu reagieren haben. Die Bühne wurde voll ausgenutzt, stilisierte Folklore und sakral abgeleitete Formationen eingearbeitet. Nijinskas Choreographie wurde 1926 von London, 1926 von Buenos Aires, 1933 von Paris, 1936 von New York übernommen.

Fassungen:

Historische Aufnahmen: London 10. Juni 1934 in englischer Sprache mit Kate Winter (Sopran), Linda Seymour (Mezzosopran), Parry Jones (Tenor), Roy Hendersen (Bass) unter der Leitung von Igor Strawinsky; Hollywood 21. Dezember 1959 mit Mildred Allen (Sopran), Regina Sarfaty (Mezzosopran), Loren Driscoll (Tenor), Robert Oliver (Bass), Samuel Barber, Aaron Copland, Lukas Foss und Roger Sessions (Klavier), The American Concert Choir und dem Columbia Percussion Ensemble unter der Leitung von Igor Strawinsky.

CD-Edition: I-3/1-4 (Aufnahme Hollywood 21. 12. 1959).

Autograph: Das Manuskript des Klavierauszuges lagert im Verlag J. & W. Chester in London. Einige Skizzen-Seiten schenkte Strawinsky Lord Berners, während der Hauptteil der Skizzen für fünftausend Schweizer Franken von Werner Reinhart gekauft und in die Stiftung Rychenberg zu Winterthur eingebracht wurde. – Aus dem Nachlass Strawinskys gingen in die Paul Sacher Stiftung über: Partitur-Fragmente 1. Bild der Fassung 1914/15 für großes Orchester mit zwei Streichorchestern; Partitur-Fragmente 1. Bild der Orchesterfassung 1917 mit Cymbalum, Clavicembalo und Harfe; unvollständige Partitur zum 1. und 2. Bild der Fassung 1919 für zwei Cymbals, Harmonium, Pianola und Schlagzeug sowie Skizzen, Partitur-Entwürfe und Reinschrift der endgültigen Fassung.

Copyright: 1922 durch Chester Music in London

Ausgaben

a) Übersicht

40-1 1923 KlA; r-f; Chester London; 180 S.; J. W. C. 9718.

    40-1Straw ibd. [mit Eintragungen]

40-2 1924 Dp; r-f; Chester London; 132 S.; J. W. C. 45.

    40-2Straw ibd. [mit Eintragungen]

40-3 1927 Tp; r-f; Philharmonia Wien; 132 S.; W.Ph.V. 296 J. W. C. 45 B; 296.

40-4 [1927] Tp; r-f; Chester London; 132 S.; W. Ph. V. 296 J. W. C. 45 B.

b) Identifikationsmerkmale


K Cat­a­log: Anno­tated Cat­a­log of Works and Work Edi­tions of Igor Straw­in­sky till 1971, revised version 2014 and ongoing, by Hel­mut Kirch­meyer.
© Hel­mut Kirch­meyer. All rights reserved.
http://www.kcatalog.org and http://www.kcatalog.net