KN14 Souvenir d’une Marche Boche

english KN14 Souvenir d’une Marche Boche

KN14 Souvenir d’une Marche Boche [1916]

Titel: Da sich Strawinsky über das Stück ausgeschwiegen hat, lässt sich auch über den Titel und damit über die Werkvorstellung nur spekulieren. Die Sprachform Souvenir d’une ist zumindest ungewöhnlich. Ein Franzose würde vermutlich eher Souvenir de vorziehen. Alles hängt davon ab, ob Strawinsky über die Sprache eine Unterscheidung zwischen dem deutschen Marsch an sich (de) und einem bestimmten Marsch (d’une) treffen wollte oder ob er der französischen Sprache zu wenig mächtig war, um die grammatikalischen Besonderheiten abzuschätzen. Das Wort „Boche“ war damals ein gegen Deutsche gerichtetes französisches Schimpfwort, das dem Sinne nach etwa „Holzkopf“ bedeutet. Damit war, wie sonst nach Landsermentalität üblich, keine auch nur halbwegs freundliche Nebenaussage verbunden.

Stil: Der Klavierklang des dreiteiligen kleinen Stückes verbleibt beidhändig im Bassregister und scheint im Mittelteil auf Beethovens Marschsatz aus der Klaviersonate Op. 111 anzuspielen. Jedenfalls dürfte sich der Titel nicht auf die Erinnerung an einen bekannten, bestimmten deutschen Militärmarsch beziehen. Aus der Umspielung des Mittelteils mit den stampfenden Basstönen lassen sich die verschiedenartigsten Deutungen ableiten.

< >Bemerkungen: Anfang des Jahres 1916 gab Edith Wharton aus New York einen Sammelband zu Gunsten der amerikanischen Kriegsopferhilfe heraus, zu dessen Gestaltung zahlreiche amerikanische und französische Künstler eingeladen wurden, die sich auch nicht entzogen und künstlerisch individuelle Beiträge lieferten. Der Sammelband nannte sich “Buch der Heimatlosen” (The Book of the Homeless — Le Livre des Sans-Foyer) und erschien in London bei Mac Millan & Co. Strawinsky steuerte einen Souvenir d’une Marche Boche bei, der in Form einer vierseitigen Manuskript-Autotypie auf Seite 52 bis 54 unter dem in Majuskeln geschriebenen Titel MUSICAL SCORE / IGOR STRAVINSKY / SOUVENIR D’UNE MARCHE BOCHE abgedruckt wurde. Im vierseitigen Vorspann ab Seite 48 findet sich ein Porträt Strawinskys nach einer Studie in Öl von Jacques-Émile Blanche. Eine gestochene Veröffentlichung hat der Marsch, der in der Strawinsky-Literatur als belanglos eingestuft wird und als Kompositions-Endedatierung mit Morges, 1 Sept. 1915 abgezeichnet wurde, nicht erfahren. Strawinsky war offensichtlich auch nicht an einem Druck interessiert. Der Verlag Boosey & Hawkes brachte 1997 nach Strawinskys Tod im Rahmen eines 11-seitigen Sammelbandes Stravinsky for Piano. A collection of miniatures and arrangements for piano solo and duet (Platten-Nummer: 10631) als erstes Stück auf S. 2–3 einen Nachdruck heraus, der das 1916 faksimilierte Manuskript von 1915 in Drucksatz übertrug. Das Autograph befindet sich in der Library of Congress in Washington.


K Cat­a­log: Anno­tated Cat­a­log of Works and Work Edi­tions of Igor Straw­in­sky till 1971, revised version 2014 and ongoing, by Hel­mut Kirch­meyer.
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